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Bettgeflüster

by Verrath

"Zeig mir, wie Du das machst," sagte Xena, und starrte unverwandt auf die dunkelhäutige Frau, die ihr gegenüber stand.

Die exotische Schönheit sah ihr in die Augen, und streckte ihre Hand nach Xenas Bein aus.

Die Kriegerin stoppte sie mit einem Kopfschütteln. "Nicht mein Bein." Sie deutete auf ihre Kehle. "Zeig's mir an meinem Hals."

Dunkle Augen sahen die Kriegerin fragend an. "Ja, komm schon!" Auf Xenas leichtes Kopfnicken hin streckte die Fremde zwei Finger einer Hand aus, und rammte sie blitzschnell in eine Stelle an Xenas Hals.

Xenas Augen weiteten sich, ihr Rücken verkrampfte sich, und sie sank auf die Knie. Blut tropfte aus ihrer Nase. "Das war zu schnell," keuchte sie. "Nimm es weg, und mach es noch mal, aber langsamer."

Die junge Frau sah sie mit einem kalten Lächeln an und rührte sich nicht.

Etwas ähnliches wie Panik nahm von der furchtlosen Kriegerin Besitz. "Nimm es weg! Komm schon!"

Eine zweite blitzschnelle Bewegung, und Xena fühlte, wie ihr Blut wieder zu zirkulieren begann. Langsam erhob sie sich, rieb sich die Arme. Sie warf der Frau einen bösen Blick zu, doch diese schien davon völlig unbeeindruckt zu sein.

"Wirklich witzig. Und jetzt zeig mir, wie du das gemacht hast!" Als die Frau ihre Hand erneut ausstreckte, schüttelte Xena den Kopf. "Nein, nein, nicht an mir. Zeig's mir an deinem Hals."

 

"...und so lernte die Kriegerprinzessin von dem Sklavenmädchen, wie man die Blutzufuhr zum Gehirn unterbricht," endete Gabi ihre Geschichte.

"Klasse," sagte Sina. "Wo hast du das denn gehört? Kann Xena sowas wirklich?"

"Na klar kann sie," erwiderte Gabi selbstsicher. "Hab ich neulich im Fernsehen gesehen. Da war so 'ne Sendung über die Leute in der Wüste, weißt Du. Die haben ja keine Ärzte, und wenn's denen mal schlecht geht, dann machen sie solche Sachen, damit es nicht mehr weh tut, und damit sie dann hingehen können, wo es Wasser gibt, und einen Doktor, und so. Xena kann das auch, und sie benutzt es dazu, die anderen dazu zu bringen, Ihr zu sagen, was sie wissen will."

"Und zum töten," sagte Sina und rieb sich nachdenklich das Kinn.

"Vielleicht früher mal," sagte Gabi, "aber das war, bevor sie Gabrielle getroffen hat und gut wurde. Jetzt bringt Xena niemanden mehr nur so zum Spaß um."

Die beiden lagen, in ihre Decken gekuschelt, in Gabis Bett. Das kleine Smiley-Nachtlicht erleuchtete die Szene mit seinem warmen gelben Schimmer und sorgte dafür, daß die Monster unter dem Bett dort blieben, wo sie hingehörten - unter dem Bett eben.

Sinas Mutti war übers Wochenende weggefahren, und das ihr Bruder gerade im Zeltlager war, wäre Sina alleine Zuhause gewesen. Also hatten Gabis Eltern ihr erlaubt, das Wochenende hier zu verbringen. Der Gedanke an zwei Übernachtungen zusammen hatte die Mädchen schon den ganzen Tag in helle Aufregung versetzt.

Um ehrlich zu sein, hatten Gabis Eltern sicherlich schon ihre Zweifel, ob das Ganze eine gute Idee war, nachdem sie Gabis kleine Schwester Lena an einen Baum gefesselt und aus vollem Halse schreiend hinten im Garten gefunden hatten. Auch Gabis Beteuerungen, daß gerade in diesem Augenblick Xena die Kriegerprinzessin unterwegs war, um die gefangene Jungfrau vor den Kannibalen zu retten, beruhigten ihre aufgebrachte Mami nicht besonders.

Klein Lena mochte zwar das Abenteuer unbeschadet überstanden haben, aber dennoch ging sie dem großen, dunkelhaarigen Mädchen mit den wilden Augen für den Rest des Tages aus dem Weg. Sie protestierte nicht einmal, als ihre Mutti sie ins Bett brachte.

Schon vor einer Weile hatte Sina die eigens für sie aufgeschlagene Matratze verlassen und hatte sich mitsamt Decke und Kissen zu Gabi gesellt. Obwohl das geräumige Bett mehr als groß genug für die beiden war, hatten sie erst einmal kreischend und lachend um den besten Platz gerungen, bis Gabis Mutti sie ermahnt hatte, mit dem Gekichere aufzuhören und jetzt endlich zu schlafen. Daraufhin hatten sie natürlich noch eine ganze Zeit lang um so heftiger kichern müssen.

Aber jetzt, spät in der Nacht, war ihre Energie verflogen. So lagen sie jetzt nebeneinander, und Gabi erzählte. Sina hörte ihr gebannt zu, wie sie Geschichte um Geschichte von der Kriegerprinzessin zum Besten gab. Diese letzte, die von einer Zeit erzählte, in der die imaginäre Heldin der beiden noch böse gewesen war, schien Sina noch mehr zu faszinieren als die anderen.

"Gabi?" Sina stütze sich auf einen Ellenbogen und sah Gabi an. Das Nachtlicht zeichnete bizarre Schatten auf ihr Gesicht, ließ ihre blauen Augen glitzern, als ob sie von ihrem eigenen, inneren Licht erleuchtet würden.

"Hmm?" Gabi spürte die plötzliche ernste Stimmung ihrer Freundin. Sie setzte sich auf, lehnte sich an das Kopfteil des Bettes, schlang die Arme um ihre Beine, und sah Sina erwartungsvoll an.

"Denkst Du, man kann schlecht sein, bevor man sich daran erinnert?"

"Wie meinst du das?"

"Ich meine, Mami sagt es zwar nie direkt, aber ich glaube, sie denkt, daß ich schlecht bin. Ich merke es daran, wie sie mich manchmal anschaut. Und manchmal, da redet sie, als ob ich mal was wirklich, wirklich schlimmes gemacht hab als ich noch ganz klein war. Aber ich weiß nicht, was. Und Tom, mein Bruder, der nennt mich immer 'kleine Hexe'. Hexen sind doch schlecht und böse, oder? Aber ich glaub gar nicht, daß er denkt, ich bin schlecht. Er lächelt nämlich immer, wenn er das sagt. Vielleicht ist es, weil ich Papa so ähnlich sehe. Mami sagt immer Papa, war schlecht." Sie verstummte, und starrte vor sich ins Leere.

Gabi lutschte an einer Strähne ihres honigfarbenen Haares, während sie darüber nachdachte, was Sina ihr gerade erzählt hatte. "Wie war denn dein Papa so? Erinnerst du dich noch ein bißchen an ihn?"

"Ich weiß noch, einmal, da nahm er mich auf seinem Motorrad mit." Ein verträumtes Lächeln verklärte Sinas Züge, als sie sich erinnerte. "Ich glaube, Papa war richtig klasse, und er hat immer gelächelt, wenn er mich angesehen hat. Ich glaube, ich war vier oder fünf damals. Als wir von der Fahrt wieder zurückkamen, war Mami wirklich böse, weil er mich auf das Motorrad gesetzt hat. Dann schrien sie sich an, und ich habe geweint. Aber am nächsten Tag hat er mich schon wieder angelächelt, und hat mich auf den Schoß genommen und mit mir gespielt. Und irgendwann, da war er einfach weg. Mami redet nie davon. Tom sagt, er weiß es nicht, daß Papa einfach auf seinem Motorrad weggefahren ist."

Gabi rieb sich die Nase. "Ich glaube, Du mußt wissen, daß du etwas schlechtes tust, damit es wirklich zählt. Wenn man noch ganz klein ist, dann will man eigentlich gar nichts, außer, daß einem die Mutti die Windeln wechselt, und daß sie einen füttert. Als Lena ein Baby war, da hat sie nur gegessen, geschlafen, und gestunken. Und ich glaube, bei uns war das genauso, nur wir erinnern uns nicht mehr daran. Also können wir doch nicht wirklich schlecht gewesen sein."

Die beiden schwiegen für eine ganze Weile. Dann sagte Sina: "Aber vielleicht sind manche Menschen schon schlecht innen drin, wenn sie geboren werden."

"Nein," erwiderte Gabi voller Überzeugung.

"Ich bin immer böse," sagte Sina leise. "Ich bin durch den Giganten-Graben gefahren, obwohl ich nicht durfte; ich hab das mit Mrs. Castors Gartenschlauch gemacht..."

"Aber sie hat es verdient! Sie war gemein zu dir." Gabi machte eine Pause, um ihre nächsten Worte zu wählen. "Ich glaube nicht, daß du innen drin schlecht bist. Ich kenne deinen Papa nicht, aber du mußt doch nicht schlecht sein, nur weil es dein Papa ist, oder deine Mami. Du kannst lernen, gut oder böse zu sein, aber du wirst nicht schon so geboren. Manchmal macht man vielleicht was schlechtes, aber das heißt noch lange nicht, daß man deshalb gleich böse ist."

Sina nickte. Was ihre Freundin da sagte, schien ihr logisch. Dann seufzte sie tief. "Trotzdem würde ich gerne wissen, warum Mami mich manchmal so anschaut."

"Vielleicht ist irgendwann mal was schlechtes passiert, an dem du gar nicht schuld warst, nur denkt sie, daß du es warst, weil du dabei warst, als es passiert ist."

Sina zuckte mit den Schultern. "Könnte sein." Sie krabbelte über Gabi hinweg und knipste das Licht an. Sie blinzelte ein bißchen, um ihre Augen ans Licht zu gewöhnen. Dann kletterte sie aus dem Bett.

"Wo gehst Du denn hin?" fragte Gabi verwundert. Sie rieb sich die Augen, die von dem plötzlichen grellen Licht weh taten.

"Ich hole nur was," murmelte Sina, und tappte hinüber zu dem Regal, auf dem Sina ihre Barbie-Spielsachen aufbewahrte. Vorsichtig, beinahe ehrfürchtig, nahm sie die Barbie-Puppe mit dem schwarz gefärbten Haar und dem kleinen Schwert auf dem Rücken, bevor sie zurück zu Gabi unter die Decken kroch. Sie löschte das Licht, und legte sich auf die Seite, ihrer Freundin zugewandt.

Auch Gabi kuschelte sich wieder in ihre Decken und sah zu, wie Sina Barbie-Xena nachdenklich in den Händen hin und her drehte.

"Glaubst du, ich kann so stark und mutig sein wie sie?" fragte Sina.

"Na klar. Genau so stark und mutig wie sie."

Sina sah sie an und grinste. Endlich verflog ihre düstere Stimmung.

Gabi kicherte. "Und stur wie ein Maulesel, genau wie sie. Wenn Gabrielle nicht wäre, um sie zu-" Ein Kissen, das mitten in ihrem Gesicht landete, brachte sie zum Schweigen.

"Wie ein Maulesel, hm? Na warte," sagte Sina. "Das Kissen sieht gut aus auf deinem Gesicht. Laß es so." Jetzt war es an Sina, zu kichern, während sie sich auf das kleinere Mädchen stürzte und gnadenlos zu kitzeln begann. Schon bald war die herrlichste Kissenschlacht im Gange, mit viel Ringen, Kitzeln, Kreischen und Gelächter.

"Die Tür flog auf, und das Licht ging an. Die Mädchen erstarrten, Sina mit einem von Gabis nackten Füßen fest zwischen den Beinen eingeklemmt und die Finger bereit zum kitzeln, Gabi mit einem Kissen in der Hand und im Begriff, ihre Peinigerin damit zu bombardieren.

Gabis Mutti stand in der Tür. "Wißt ihr eigentlich, wie spät es ist?" fragte sie streng. "Ich sage es jetzt zum letzten Mal; entweder ihr benehmt Euch und seid endlich still, oder Sina schläft im Gästezimmer."

Das Kissen entglitt Gabi aus plötzlich schlaff gewordenen Händen, und auch Sinas Griff war auf einmal seltsam kraftlos. Hastig befreiten die Kinder sich voneinander und setzten ihre unschuldigsten Gesichter auf (aber ganz ehrlich gesagt wirkte Sina dabei nicht so ganz überzeugend).

"Tut mir leid, Mutti." Gabi sah ihre Mutti aus großen, traurigen Augen an.

"Schlaft jetzt," sagte Gabis Mutti nur, bevor sie das Licht löschte und kopfschüttelnd aus dem Zimmer ging.

Und wie es sich für brave Kinder gehörte, ordneten die beiden rasch ihre Decken und legten sich wieder hin, fest entschlossen, sich jetzt zu benehmen. Es wäre ja schließlich undenkbar, daß Sina im Gästezimmer schlief!

Es wurde still im Kinderzimmer.

"Gabi?" Sina drehte sich auf den Rücken und sah zur Decke hinauf, wo die Lichter der ab und zu vorbeifahrenden Autos bizzarre Schatten warfen.

"Hmm?" murmelte Gabi. Sie war schon fast eingeschlafen.

"Meinst Du, daß Xena jetzt wirklich gut ist innendrin, oder ist sie nur gut, weil Gabrielle bei ihr ist?"

Gabi mußte eine ganze Weile über die Frage ihrer Freundin nachdenken. "Xena möchte gerne gut sein, so ganz innen drin. Das wollte sie auch schon damals, als sie eigentlich noch böse war. Aber sie hat vergessen, wie das geht, weil sie schon so lange böse war, daß sie nichts anderes weiß. Deshalb braucht sie Gabrielle, damit sie ihr zeigt, wie man gut ist."

"So ähnlich, wie du immer versuchst, mich aus Schwierigkeiten rauszuhalten, oder?"

"Ja, so ähnlich."

"Das find ich klasse," murmelte Sina noch, bevor sie einschlief, Barbie-Xena fest an sich gedrückt.

Bald folgte Gabi ihr in den Schlaf. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen.

 

Ende

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